Mahoraba

Kojima Akira

2 Bände (Stand Juni 2002)

Gangan Wing Comics, Enix

 

27.08.2001
ISBN4-7575-0501-9

 

27.02.2002
ISBN4-7575-0625-2

Auf den ersten Blick scheint Akira Kojimas Mahoraba ein Love Hina Verschnitt zu sein. Die Handlung weist starke Parallelen mit dem Hitmanga von Akamatsu Ken auf: Ein junger Student sucht in Tokyo eine Unterkunft, um in Ruhe sich auf kommende Prüfungen konzentrieren zu können. Seine Mutter vermittelt ihm ein Zimmer in einer Herberge, die der Familie gehört. In der Herberge, umringt von Hochhäusern und in einem sehr traditionellen Baustil gehalten, wohnen, oh welch Überraschung, einige hübsche Frauen, die dem Studenten das Studieren schwer machen werden.....und trotzdem unterscheidet sich Mahoraba in wesentlichen Punkten von Love Hina, lest selbst:

Ryûshi Shiratori ist der besagte Student, der durch den Einzug in die Herberge namens "Narutakisou" sich vieles verspricht: Er kommt vom Lande her, aber die private Kunstschule, in die er sich eingeschrieben hat, befindet sich im Zentrum der Metropole. 3 Stunden dauert die Hinfahrt. Kein Wunder also, dass er sich für eine Bleibe in der Nähe seiner Schule entscheidet, wo er in Ruhe seine Malarbeiten erledigen kann. Gleich beim Eingang der Herberge lernt er Aoba Kozue kennen, die hübsche Schülerin und Hauswärtin kennen (siehe Auszug 1). Kozue ist eine entfernte Verwandte von Ryûshi und scheint ihn von Früher her zu kennen. Sie freut sich riesig, dass er sein Hobby (Malerei) weiter an der Uni studiert und seinTraum vom Zeichner für Kinderbücher verwirklichen will. Ryûshi ist ein bisschen verunsichert: Er kann sich an Kozue nicht erinnern, fühlt sich aber gleich von ihrer Schönheit und Nettigkeit angezogen.


Bald lernt Kozue seine anderen Mitbewohner kennen, die alle ihre Schrullen haben:
Momono Megumi, ebenfalls noch Schülerin, ist die typische "Impulsive" der Bewohner, liebt Alkohol über alles und mischt sich in allerlei Privatangelegenheiten ein. Ein bisschen wie Kitsune in Love Hina. Sie versucht gleich zu Beginn an, Kozue mit Ryûshi zu verkuppeln.
Chanohata Tamami ist eine weitere Schülerin und geht in die gleichen Schule wie Kozue. Sie spielt immer das sehr nette Mädchen von nebenan, singt beim Sprechen beinahe und versprüht eine mysteriöse/unheimliche Aura. Tamami ist eine sehr unberechenbare Person.
Kurosaki Asami ist eine niedliche Zwölfjährige, die sehr aufgestellt und für ihr Alter recht reif ist. das muss sie, denn sie lebt zusammen mit ihrer Mutter junge Mutter Kurosaki Sayoko, die arbeitslos ist, nichts kann, immer depressiv drauf ist und hin und wieder Selbstmord (!) begehen will. Sayoko trägt meistens eine Schlinge mit sich rum ...
Zuletzt gibt es noch einen Mann namens Haibara Yukio, der immer mit seiner Hundepuppe "Johnny" herumläuft und seine Kunst vom Bauchreden pflegt. Ein schrulliger Typ.


Doch gerade die Person, die für Ryûshi zunächst noch am normalsten scheint, ist alles andere als "normal": Kozue leidet an einer psychischen Krankheit: In ihr stecken noch mindestens 2 weitere Persönlichkeiten. "Dissociative mental disorder" nennt sich diese Krankheit. Wenn Kozue einen Schock kriegt, zu stark erschrickt oder sehr wütend wird (äusserst selten), fällt sie in Ohnmacht und wacht als eine andere Person auf. Mal als die sehr aggressive, "punkhafte" Kozue, die Ryûshi einem immer auf die Nuss haut und für durchzechte Nächte immer zu haben ist (Auszug 2); mal aber auch als die sechsjährige "Nanako", die alle Bewohner mit ihrem kindlichen Gemüt auf Trab hält.
Ryûshi glaubt zuerst an einem schlechten Scherz: Die aggressive Kozue kann niemals die echte Kozue sein; es muss sich um eine Zwillingsschwester handeln. Doch Megumi erklärt ihm, dass es sich hierbei sehr wohl um die nette Kozue handelt, nur weiss Kozue es selber nicht. Kozue kann sich nicht an ihre anderen Persönlichkeiten erinnern, nachdem sie wieder die Alte geworden ist. Sie kennt ihre anderen Persönlichkeiten nicht und umgekehrt kennen die anderen Persönlichkeiten die übliche Kozue nicht.

Es ist für Ryûshi schon hart, wenn sein "ideales" Mädchen ihm nach einem Persönlichkeitswechsel so zusetzt. Aber noch härter wird's, wenn er sich um "Momoko" kümmern muss. Momoko will ständig die Aufmerksamkeit von Ryûshi, wie kleine Kinder halt, und kommt ihm manchmal auch seehr nahe, was Ryûshi sehr peinlich ist. Mit Märchen Lesen und Zeichnen kann er sie beschäftigen, aber es klappt auch nicht so ganz (Auszug 3).
Ryûshi könnte seine Aufgaben auch einfach auf die Seite legen und sich mehr um Momoko kümmern. Nur gleicht seine Professorin ziemlich Tamami und macht gute Miene zum Bösen Spiel.


Genau Tamami macht unserem Ryûshi mit einem "hochbrisanten Photo" später noch das Leben schwer (Auszug 4). Ohnehin ist sie sehr schlau und nutzt die Schwächen unseres Studenten knallhart aus, warum aber wohl? Was steckt hinter ihrer Fassade und wieso schafft sie es immer wieder, die Personen in ihrer Nähe so einzuschüchtern? Ihr Aussehen mit ihrer Sprechweise und ihrem Verhalten macht aus Tamami, die vermeintlich Niedliche und Unberrechenbare, ein Geheimnis für sich ...

Ziemlich besorgniserregend ist auch Sayoko, Asamis Mutter: Jeder noch so kleiner Patzer ist für sie ein Grund, sich erhängen oder die Adern durchzuschneiden zu wollen (Auszug 5). Asami ist der genaue Gegenpol von ihrer Mutter: Sie macht aus jeder Situation ihr Bestes, und weiss sich trotz der Armut der beiden zu helfen: Selbst aus Gras vom Wegrand kann sie ein "tolles" Menü zaubern, und sie weiss immer, welcher Supermarkt gerade Waren in Aktion hat. Manchmal kriegen beide einen Gelegenheitsjob, mit dem sie sich über die Runde halten. Als Ryûshi eines Abend bei einem Job mithilft, erfährt er, dass Sayoko in Wirklichkeit gar nicht die leibliche Mutter von Sasami ist ...


Akira Kojimas Mahoraba profitiert wohl freillich vom momentanen Boom der Love Comedies, den Love Hina ausgelöst hat. Die Paralellen sind nicht zu übersehen. Trotzdem hebt sich Mahoraba von Love Hina mit einem gemächlicheren Erzähltempo ab. Die Ereignisse in Mahoraba sind längstens nicht so überdreht wie in Love Hina.
Dann wiederum unterscheidet sich Mahoraba im Plot und im Genre an einigen Stellen wesentlich von LH: Anders als Love Hina bringen hier keine bevorstehenden Prüfungen die beiden Hauptcharaktere zusammen. sowohl Ryûshis Träume als auch die Vergangenheit von ihm und Kozue spielen in der Geschichte bisher eine untergeordnete Rolle. Der ganze Plot besteht eher aus einzelnen unabhängigen Episoden aus dem üblichen Alltagsleben der Herbergsbewohner. Der Zeichner Akira Kojima hat gar nicht die Möglichkeit ,eine derart lange "Saga" wie Love Hina zu bringen, weil Mahoraba in einer Monatszeitschrift (Gangan Wing Comics) erscheint. Er neigt von daher, mit Ausnahme der ersten wenigen Kapiteln, den Lesern einen "Häppchen"-Plot anzubieten. Jedes Kapitelchen kann als kleine Geschichte für sich angesehen werden. Und hier zeigt sich eine starke Analogie von Mahoraba zum Plot von Videogames und daraus entstandenen TV-Serien wie To Heart: Die männliche Hauptperson lernt Mädchen verschiedenen Alters (1 x 12, 2 x 16 & 1 x 17) mit verschiedenen Eigenschaften kennen und gibt ihnen bei schwierigen Zeiten Ratschläge, beinahe wie ein "älterer Bruder", dem man vertrauen kann. Dafür muss nun Ryûshi aber auch freillich recht leiden, aber im Prinzip hat er neben der Rolle des Pechvogels auch die Rolle der Vertrauensperson: Eine klassische Dating-Simulation also, die sehr den Lesertyp "Otaku" anspricht. Man braucht sich daher nicht zu wundern, wenn Mahoraba von Enix herausgegeben wird, eine der neueren und kleineren Unternehmen, die Manga stark multimedial vermarkten wollen: Als Videospiel, als Tradingcard Games, als Computersoftware..... siehe zum Beispiel "Jungle wa itsumo Hale nochi Guu" aus dem selben Verlag.
Mahoraba ist also ein äusserst kommerzieller Manga, der aber dennoch einen gewissen Charme hat: Zuerst zum Zeichenstil: Akira Kojimas Zeichenstil ist für dieses Genre einfach gehalten und dennoch recht detailiert geraten. Seine Charakterdesigns oszillieren immer zwischen "normal" und leicht "super deformed", ohne je zu stark ins extreme Super Deformed zu geraten. Personen im Hintergrund sind nicht einfach hingekritzelt worden, sondern sorgfältig ausgeführt worden. Schlicht & simpel aber dennoch detailiert eben. Sein Stil eignet sich hervorragend fürs animieren. Wir dürfen gespannt sein, ob in Japan noch eine Anime TV-Serie geplant ist. Ein Wunder wäre es freillich nicht. Interessant ist auch, dass Kojima hin und wieder seine Geschichte als 4-Panel Gagstrip weiterführt (siehe Auszug 3)
Dann machen die einzelnen Personen einfach Spass wenn man sich für Love Comedies begeistern kann, auch wenn sie aus unzähligen Klischees bestehen: Der typische scheue Student Ryûshi, die unberechenbare Tamami, die Gegenpole Sayoko und Asami und nicht zuletzt die nette & dem Wünschen des Mannes "unterwürfige" Kozue (;->), die mit ihrer Persönlichkeitsspaltung für Unterhaltung sorgt.

Genau in Kozues "Krankheit" steckt aber der einzige Kritikpunkt bei diesem Manga: Die Ursache der Krankheit wird bisher nicht näher behandelt, und wer in seiner Familie vielleicht mit Personen zu tun hat, die an Shizophrenie leiden oder einer ähnlichen psychischen Krankheit, wird den Gag von Akira Kojima wahrscheinlich gar nicht komisch finden. Doch die hier dargestellte "Krankheit" ist dermassen unrealistisch geraten, dass sie rein als Katalysator für die verrückten Ereignisse aufgefasst werden sollte, als ein reines Plotinstrument. Wer das erkennt und damit leben kann, dem steht die Lektüre eines feinen Love Comedy Manga für zwischendurch eigentlich nichts mehr im Wege.

Text©Yaniv Tempelman (Juni 2002)